Kernkompetenz „Kundenorientierung“ in der Personalauswahl

Kundenorientierung kann jeder, oder? „Wir erwarten Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke und ein ausgeprägtes Verständnis für den Servicegedanken der Wohnungsbewirtschaftung“ lesen wir so oder ähnlich in Ausschreibungen der Wohnungswirtschaft für Stellen mit Kundenkontakt. War for talents – so bezeichnet man heute das Ringen von Unternehmen um gute Leute. Mit hoher fachlicher Kompetenz ausgestattet zu sein reicht nicht aus, um in einem serviceorientierten Beruf erfolgreich zu sein. Es bedarf auch sozialer Kompetenzen und der passenden Einstellung zum Kunden.

Jedes Wohnungsunternehmen weiß, wie schwierig es ist, alle Mitarbeiter zu erreichen, wenn es um die Vermittlung der richtigen Einstellung zum Kunden und kundenorientierter Kommunikation geht. Trotz guter und intensiver Qualifizierungsmaßnahmen bleiben Einzelne zurück und verharren in alten, vielleicht lieb gewonnenen Sicht- und Verhaltensweisen bürokratischer Wohnungsverwaltung. Ein kluger Gedanke von Unternehmen und folgerichtig: Bereits bei der Personaleinstellung darauf achten, Mitarbeiter mit sozialen Kompetenzen zu gewinnen. Obwohl Wohnungsunternehmen in Stellenausschreibungen deutlich machen, wie wichtig ihnen Kundenorientierung als Anforderung an künftige Stelleninhaber ist, wird dieser Aspekt jedoch in Auswahlverfahren vernachlässigt. Oft basiert die Einschätzung der Personalverantwortlichen auf subjektiven Eindrücken beim Vorstellungsgespräch und einer Abfrage der Haltung zum Kunden. Ob sich der Bewerber als Mitarbeiter dann später im Kundenkontakt tatsächlich im Sinne des Unternehmens verhält, lässt sich auf dieser Grundlage allerdings kaum vorhersagen.

Was bedeutet Kundenorientierung?
Allgemeine Fragen zur Kundenorientierung bringen wenige Erkenntnisse. Im Selbstbild der Bewerber und mit großer Wahrscheinlichkeit von uns allen ist Kundenorientierung nicht nur ein anerkannt wichtiger Aspekt beruflichen Handelns, sondern etwas, wovon wir glauben, es zu können und auch zu tun. Wir können deshalb überzeugt und glaubwürdig erklären, welche hohe Bedeutung kundenorientiertes Denken und Handeln im Job für uns hat. Interessantere Einblicke erhält man, wenn genauer betrachtet wird, was ein Bewerber konkret unter Kundenorientierung versteht. Dies lässt sich im Gespräch durch eine Vertiefung des Themas mit konkreten Beispielen und über situative Fragen erreichen. In einem Telefoninterview wurden Bewerber zum Beispiel gedanklich in ein Szenario mit einem Kunden versetzt und aufgefordert, kundenorientiertes Verhalten konkret zu beschreiben. Aus den Antworten ließen sich negative Kundenbilder über die Verwendung wenig wertschätzender Begriffe erschließen, gutes Einfühlungsvermögen durch die gute Schilderung der Kundensicht erkennen, und es zeigten sich auch Reaktionsmuster, die wenig Zufriedenheit beim Kunden erwarten ließen.

Aussagekraft von Arbeitsproben
Noch mehr Aussagekraft als ein Interview haben allerdings Verfahren, bei denen das Verhalten des Bewerbers gegenüber Kunden konkret beobachtet werden kann. Solche Arbeitsproben ermöglichen den Einblick in das Verhalten von Interessenten in alltagsnahen Ausschnitten des künftigen Arbeitsfeldes. Für eine hohe Aussage- und Vorhersagekraft einer Arbeitsprobe ist es wichtig, dass sie anhand klar definierter Anforderungen an die Stelle konzipiert wird. In Begriffen der Messmethodik gesprochen, geht es um die Inhaltsvalidität des Verfahrens. Das heißt, die Arbeitsprobe muss das, was wir von dem künftigen Mitarbeiter erwarten und als Anforderungsprofil definiert haben, auch messen.

Beispiel: WOGEDO
Wie unterschiedlich solche Arbeitsproben ausfallen können und müssen, zeigt ein praktisches Beispiel: Die WOGEDO in Düsseldorf suchte zur Verstärkung der Teams „Service Wohnen“ einen kaufmännischen sowie einen technischen Mitarbeiter. Aufgrund der positiven Erfahrung des Wohnungsunternehmens mit Verhaltenssimulationen bei der Auswahl von Führungskräften entschied sich die Genossenschaft für neue Wege auch bei der Auswahl von Mitarbeitern auf Sachbearbeiterebene. Zunächst wurden die Anforderungen an die Stellen geschärft. Für beide Stellen wurden Kundenorientierung sowie die Teamfähigkeit neben der fachlichen Kompetenz als wichtige Anforderungen definiert. Die kaufmännische Stelle erfordert zudem Talent in der Vermietung. Die genaue Beschreibung der Anforderungen war die Basis für die Auswahl und Entwicklung der Methoden im Auswahlverfahren.

Mehrstufiges Auswahlverfahren
Aufgrund der Vielzahl an Bewerbern mit passendem fachlichen Profil wurde ein mehrstufiges Auswahlverfahren ausgewählt, das recht früh im Auswahlprozess nach sozialen Kompetenzen filtern sollte. In einem ersten Schritt ist mit qualifizierten Bewerbern ein Telefoninterview geführt worden, das neben Fragen zum Lebenslauf, Erfahrung und Qualifikation auch soziale Kompetenzen auf einen ersten Prüfstand gestellt hat. Für ein erstes Screening zur Kundenorientierung wurden allgemeine und situative Fragen entwickelt und im Interview eingesetzt. In einem zweiten Schritt wurden talentierte Bewerber zu einer Arbeitsprobe ins Wohnungsunternehmen eingeladen. Für die Besetzung der kaufmännischen Stelle ist eine Arbeitsprobe entwickelt worden, die sowohl Vermietungsgeschick als auch Kundenorientierung beobachten ließ. Es wurde ein Vermietungsgespräch simuliert, bei dem der Bewerber in die Rolle des Kundenbetreuers schlüpfte und seinen Mietinteressenten – gespielt von einem externen Berater – in der Arbeitsprobe empfing. Zur Vorbereitung erhielten die Kandidaten Informationsmaterial zur Wohnungsgenossenschaft (z. B. Entscheidungsgrundsätze), zu den Wohnungen (z. B. Grundriss, Lage, Umfeld) sowie zum Vermietungsgespräch. Für eine positive Einschätzung der Kundenorientierung wurde von den Bewerbern erwartet, dass sie die Wünsche und Interessen des Wohnungsinteressenten (aktiv) erfragen, relevante Informationen aus Kundensicht anbieten und unwichtige Informationen weglassen, dass sie auf Zwischentöne des Kunden achten, freundlich und offen kommunizieren und die für den Kunden passgenaue Wohnung empfehlen. Für die technische Stelle wurde die Kundenorientierung der Bewerber über eine simulierte Wohnungsübergabe überprüft. Die Wohnungsübergabe fand in einer Gästewohnung der Wohnungsgenossenschaft statt und enthielt für die Bewerber einige Herausforderungen, die zur gelungenen Lösung kundenorientiertes Verhalten erforderten. Zum Beispiel wurden die Kandidaten mit berechtigten Anliegen und unerfüllbaren Kundenwünschen konfrontiert und sie sollten einfache technische Fragen des neuen Mieters beantworten. Beobachtet und bewertet wurde der Umgang des Kandidaten mit dem Kunden: Werden die Fragen verständlich beantwortet? Wird Verständnis für die Wünsche des neuen Mieters gezeigt? Wie wird die Ablehnung des nicht erfüllbaren Kundenwunsches kommuniziert? Erhält der Bewerber Akzeptanz mit seinem Vorgehen? Gibt es eine einvernehmliche Lösung? Wie fängt der Bewerber Unmut des Kunden auf?

Ergebnis der beiden Auswahlverfahren
In beiden Auswahlverfahren setzten sich Bewerber durch, die mit Blick auf die formale Qualifikation zwar durchaus passend waren, aber nicht in der ersten Reihe standen. Das Erleben der sozialen Kompetenzen der Bewerber führte zu einer Neubewertung der Kandidaten in der Eignung für die ausgeschriebenen Stellen. Aber ist es ausreichend, über das Telefoninterview die sozialen Kompetenzen zu erheben? Ein Blick auf die Abbildung zeigt: Kandidaten überraschten trotz positivem Eindruck zur Kundenorientierung im Telefoninterview (Einstellung) mit wenig kundenorientiertem Verhalten in der Arbeitsprobe (Verhalten). Über das Interview ließen sich scheinbar wenig geeignete Kandidaten herausfiltern, die bereits in ihrer Einstellung keine Passung zu den Anforderungen der Wohnungsgenossenschaft mitbrachten. Aber nichtalle Bewerber, die im Gespräch ein kundenorientiertes Verhaltenskonzept gezeigt hatten, konnten dieses tatsächlich erfolgreich in entsprechendes Verhalten gegenüber dem Kunden in der Arbeitsprobe umsetzen. Wichtig für die Qualität einer Arbeitsprobe sind neben dem richtigen Design auch die geeignete Zusammensetzung und die Schulung der Beobachter. Zur systematischen Beobachtung und für die Auswertung der Arbeitsprobe standen den Entscheidern konkrete Verhaltensbeschreibungen zur Verfügung.

Funktion der Beobachterkonferenz
Für eine hohe Qualität der Entscheidung empfiehlt sich ein Gremium aus einer externen Expertise und unternehmensinternen Beobachtern, die sich durch ihre Position im Unternehmen und Fachkompetenzen für eine Einschätzung der Stellenanforderungen besonders gut eignen. Die Entscheidungsfindung fand bei der WOGEDO im Rahmen einer Beobachterkonferenz statt. Hier wurden die Eindrücke aller Beobachter hinterfragt und Kriterien ein letztes Mal überprüft: Woher kommen Abweichungen in unseren Einschätzungen? Wie „belastbar“ sind unsere Beobachtungen für die Beurteilung? Sind alle Kriterien gleich wichtig? Welche Schwächen lassen sich etwa durch Schulungen leicht korrigieren? Letztlich wurde den sozialen Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, kundenorientiertes Verhalten und bei Kaufleuten auch die Überzeugungskraft im Vermietungsgespräch ein höheres Gewicht gegenüber spezifischen Fachkenntnissen eingeräumt. Denn erfahrungsgemäß ist soziale Kompetenz schwerer zu erlernen als Fachkompetenz.

Fazit
Im Ergebnis führte dieser Prozess zu einer hohen Übereinstimmung bei den Beobachtern und hinterließ ein zufriedenes und sicheres Gefühl nach der Entscheidung bei den Personalverantwortlichen. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Ergebnisse von Arbeitsproben besitzen bei professioneller Entwicklung und Durchführung eine hohe Gültigkeit und Vorhersagekraft (s. Kanning, 2004). Der Nutzen des Verfahrens wird den Beteiligten bereits bei der Durchführung offensichtlich (sog. „Augenscheinvalidität“) und Arbeitsproben finden dadurch eine hohe Akzeptanz. Die Bewerber schätzen das Verfahren gleichermaßen, denn es wird als transparent und fair erlebt und enthält auch Lernchancen für die Teilnehmer. Nach anfänglicher Skepsis äußerten sich die Bewerber sehr aufgeschlossen und zeigten Verständnis für das intensive Bemühen des Wunschunternehmens im Finden des passenden Mitarbeiters: „Wenn man darüber nachdenkt, ist es ja eigentlich klasse, dass Sie auch genau sehen wollen, wie ich mit Kunden umgehe. Das ist dann ja auch mein Job. Da ist mir auch klar geworden, dass die WOGEDO wirklich das richtige Unternehmen für mich ist.“ Und eines wird an dieser Stelle deutlich: Im Kampf um die besten Mitarbeiter wird das Unternehmen zum Bewerber. Denn die Top-Leute haben durchaus die Auswahl zwischen verschiedenen Angeboten. Die Entscheidung für den zukünftigen Arbeitgeber steht und fällt auch mit der Wahrnehmung von Professionalität und wertschätzendem Umgang im Einstellungsverfahren

Weiterführende Literatur
Blickle, G. (2011). Personalauswahl.
In F. Nerdinger, G. Blickle & N. Schaper
(2011). Arbeits- und Organisationspsychologie
(2. Aufl., S. 225-252).
Heidelberg: Springer.
Kanning, U. P. (2004). Standards
der Personaldiagnostik. Göttingen:
Hogrefe.
Nerdinger, F. W. (2003). Kundenorientierung.
Göttingen. Hogrefe.
Schuler, H. (2002). Das Einstellungsinterview.
Göttingen: Hogrefe.